HOHE LUFT
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DIE ZUKUNFT UNSERER ZUKUNFT

Kommendes Wochenende findet in Krems die GLOBART-Academy 2014 statt. Vier Tage lang tauschen sich verschiedene Referenten zum Thema „UN-sichtbar“ über eine enkeltaugliche Zukunft aus. Wir haben Wirtschaftsphilosoph Rahim Taghizadegan und Wirtschaftsredakteur Michael Kerbler einige Fragen zur Zukunft unserer Zukunft gestellt.
Beide werden kommenden Freitag auch auf der GLOBART sprechen:
Ab 14:00: Panel mit Rahim Taghizadegan, Andrea Grisold, Martin Schenk & Peter Rosner:
„Die unsichtbare Hand von Adam Smith“

Um 20:00: Peter Sloterdijk im Gespräch mit Michael Kerbler:
„Was die Zukunft bringt? Die unsichtbare Zukunft?“

INTERVIEW: CHRISTINA GEYER

HOHE LUFT: Was sehen Sie vor Ihrem inneren Auge, wenn Sie spontan an die Zukunft denken?
MICHAEL KERBLER: Es wird viele Zukünfte geben. Eine europäische, eine asiatische, eine afrikanische, eine amerikanische. Aber jede Prognose, wie es wohl werden wird, ist an Wittgensteins Diktum „Dass morgen die Sonne aufgehen wird, ist eine Hypothese“ zu messen. Die einzige Entwicklung, die meiner Meinung nach sehr wahrscheinlich eintreten wird, ist die forcierte Klimaerwärmung. Die Menschheit wird zur Kenntnis nehmen müssen, dass alle Errungenschaften nichts helfen werden: wir sind der Natur unterlegen. Die Erde braucht uns nicht.
RAHIM TAGHIZADEGAN: Ich sehe Ent-täuschung, also das Ende von Täuschungen, den Fortlauf der Geschichte und nicht ihr Ende, starke Umbrüche, eine neue Weltordnung oder Weltunordnung.

HOHE LUFT: Weltunordnung zeigt sich bereits heute: Die Welt ist komplex geworden. Wir können mit den Informationsfluten der globalisierten Welt kaum noch mithalten – ist Kontrollverlust die zwangsläufige Folge?
MICHAEL KERBLER: Ich bezweifle, dass es primär ein Kontrollverlust ist, der uns verunsichert. Wenn wir von Kontrollverlust sprechen, dann würde das doch bedeuten, dass wir früher in der Lage waren, Entwicklungen zu kontrollieren. Was seit der Implosion des sowjetischen Imperiums spürbar ist, das ist ein Verlust an Orientierung. Wenn sich Kontrollverlust zum Orientierungsverlust hinzugesellt wirkt er als Verstärker, weil tausende Informationen, die wir abrufen können, fataler Weise zusammenhanglos auf uns einprasseln. Die Diagnose für unsere Gesellschaft: we are overnewsed but underinformed. Und deshalb orientierungslos.
RAHIM TAGHIZADEGAN: Kontrollverlust ist die notwendige Folge einer vernetzten, arbeitsteiligen Welt. Ganz im Gegenteil weckt die massenmediale Durchdringung unseres Denkens mit globalen Schlagzeilen Kontrollwahn und damit verbundene Ohnmacht. Die Kontrolle komplexer Systeme ist eine Illusion, deren Verlust der erste Schritt zur Wiedererringung der Kontrolle über unser Leben ist.

HOHE LUFT: Peter Sloterdijk charakterisiert die Neuzeit als die Zeit starker Individuen, die den Bezug zu ihren Wurzeln verloren haben. Welche Auswirkungen hat der Verlust von Traditionen – und was bedeutet er mit Blick auf unsere Gesellschaft?
MICHAEL KERBLER: Jene Persönlichkeiten aus der Geschichte, die Peter Sloterdijk als Kronzeugen für die Gültigkeit seines zivilisationsdynamischen Hauptsatzes auftreten lässt, haben in ihrer Zeit große Umbrüche dadurch ausgelöst, weil sie geltende Spielregeln verletzt haben. Aber man muss Traditionen und Denkhaltungen schon sehr gut kennen, um zu wissen, wie man sie am besten bricht. Der Verlust von Traditionen ist ein schleichender Prozess, der allerdings nicht unumkehrbar ist. Das entscheidende Gegenmittel scheint mir Erinnerungsarbeit zu leisten. Wir sind, was wir erinnern. Wer aufhört zu erinnern, verliert seine Identität.
RAHIM TAGHIZADEGAN: Der Verlust von Traditionen überfordert die meisten Menschen, denn die Orientierung fehlt. Viktor Frankl sah als die zwei möglichen Folgen des Traditionsverlusts Konformismus und Totalitarismus. Tradition im negativen Sinne, das Festhalten am Bestehenden, ist gerade heute besonders ausgeprägt. Eine der schlechten Angewohnheiten unserer Tage ist die Überbewertung des Neuen, das in Unkenntnis des Alten ohnehin meist alter Wein in neuen Schläuchen ist. Tradition im positiven Sinne, die Weitergabe des Feuers, nicht das Bewahren der Asche, hat die Aufgabe, uns als Zwerge auf die Schulter von Giganten zu setzen.

HOHE LUFT: Die GLOBART hat sich das Ziel der Sichtbarmachung von Zukunftsthemen auf die Fahnen geschrieben. Bis zu welchem Grad ist es überhaupt möglich, die Zukunft abzubilden? Welchen Sinn macht es, Trends zu prognostizieren?
MICHAEL KERBLER: Seit Anbeginn strebte der Mensch doch danach, vorauszuahnen, was die Zukunft bringt. Ob früher das Orakel oder die Sterne befragt wurden oder ob heute computergestützte Szenarien errechnet werden: das Motiv dahinter ist, den Eintritt eines Ereignisses nach Wahrscheinlichkeiten zu reihen. Sinn dieser Projektionen ist zweierlei: sie geben bis zu einem gewissen Grad Sicherheit, auch wenn es sich um scheinbare Sicherheit handelt. Und zweitens erlaubt die Erarbeitung von Szenarien einen weiteren wichtigen Schritt: präventive Überlegungen anzustellen. Prävention versucht unerwünschte Zukünfte unwahrscheinlicher zu machen. Und das ist doch durchaus eine gute Vorbereitung darauf, mit den Veränderungen, die auf uns zukommen, gefasst umzugehen.
RAHIM TAGHIZADEGAN: Die Zukunft ist in einem sehr fundamentalen Sinne ungewiss und daher nicht abbildbar oder prognostizierbar. Futurologie kann allenfalls die Ahnungen, Sehnsüchte und Gedanken der Gegenwart abbilden, im besten Falle legt sie dabei noch Unbewusstes frei, meist bietet sie aber nur zeitgeistigen Bestrebungen eine Projektionsfläche.

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