HOHE LUFT
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Zahlen ist menschlich

Der britische Lehrer David Bolam wurde vor fünf Monaten in Libyen entführt. Nun wurde er vor einigen Tagen endlich freigelassen, höchstwahrscheinlich gegen ein hohes Lösegeld.  Während europäische Staaten häufig zu solchen Zahlungen bereit sind, verweigern sich die USA und Großbritannien meist solchen Forderungen. Auf tagesschau.de kritisiert der Antiterrorexperte Philip Mud das Vorgehen der Europäer: “Die Amerikaner zahlen kein Lösegeld, die Europäer schon. Das bringt einen kurzfristigen Vorteil. Wenn sie Geiseln nehmen und eine Menge Geld verlangen, erhalten sie unter Umständen genug Geld, um die ganze Organisation zu finanzieren“.  Und nicht nur das: Die Zahlungen schaffen auch Anreize für potentielle Nachahmungstäter. Nur eine strikte Verweigerung der kompletten Gesellschaft könnte also auf lange Sicht dazu führen, dass sich Entführungen nicht mehr lohnen. So betrachtet liegt der generelle Verzicht auf Lösegeld im Interesse aller Bürger.

Entgegen der offiziellen Devise zahlen offenbar auch manche Briten Lösegeld, wie der Fall Bolam zeigt. Laut dem britischen Philosophen Nigel Warburton ist dies ein eindeutiger Beweis dafür, dass Menschen sich nicht immer rational entscheiden. Jeder könne das an sich selbst überprüfen: Was, wenn die eigene Tochter, die Mutter oder ein Freund als Geisel gehalten und mit dem Tode bedroht würde? Warburton ist sich sicher: Befände er sich in dieser Situation und besäße er eine Millionen Pfund – er würde zahlen. Aus utilitaristischer Sicht sei eine solche Einstellung zwar verwerflich. Die selbe Summe könnte nämlich gleich eine Vielzahl an Leben retten – etwa im Falle heilbarer Krankheiten in armen Regionen – anstatt nur dem einen geliebten Menschen zu helfen. Das eigene Kind zu opfern kommt uns trotzdem nicht in den Sinn. Anscheinend hören wir auf, rationale Berechnungen anzustellen, wenn starke Emotionen im Spiel sind.

Man sollte die Zahlung von Lösegeld jedoch nicht als beispielhaft für fehlende Rationalität begreifen. Sonst handelt man auch irrational, wenn man sich ein Sofa kauft. Mit dem Geld könnte man schließlich auch Schulbücher für mehere Kinder in Afrika finanzieren. Gleiches gilt, wenn man seinen Partner zum Essen einlädt. Das selbe Geld könnte jene versorgen, die es nötiger haben als man selbst. Für fast alles Geld, das wir ausgeben, gibt es bessere Verwendung im utilitaristischen Sinn – außer, man lebt selbst am Rande des überlebensnotwendigen Minimums.

Lösegeld-Zahlungen müssen deshalb als ein gesondertes Dilemma behandelt werden. Sie gelten nicht deshalb als irrational, weil man seine Nächsten der allgemeinen Masse vorzieht, sondern weil man gezielt gegen die Interessen der eigenen Gemeinschaft handelt – und damit auch gegen seine eigenen Interessen. Im Fall von Terrororganisationen erhöht man mit seinen Zahlungen neben dem Risiko von Entführungen sogar noch das Risiko von Anschlägen. Das alles ist nicht der Fall, wenn man sich ein Sofa kauft.

Was Warburton unterschlägt, ist dass man meist auch ein rationales Interesse am Überleben der Geliebten hat. Sie spielen eine zentrale Rolle im eigenen Plan vom gelungenen Leben. Ohne sie wäre das Leben nicht so, wie man es leben möchte. Ihr Verlust würde den Verbliebenen also weitaus mehr schaden, als eine allgemeine Erhöhung des Entführungsrisikos – besonders wenn man bedenkt, wie schwindend gering dieses Risiko momentan ist.

Natürlich zahlt man das Lösegeld auch primär, weil man die Geisel liebt. Dass Emotionen im Spiel sind, steht außer Frage. Daraus folgt aber noch lange nicht, das eine Lösegeldzahlung eine irrationale Entscheidung wäre. Die Vorteile überwiegen für die Betroffenen eindeutig die Nachteile – man handelt also begründet und vernünftig. Vor allem aber bedeutet die Entscheidung zur Zahlung, dass man ein akut bedrohtes Menschenleben höher wertet als eine kontrafaktische Gefahr- und somit menschlich handelt.

Robin Droemer

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