HOHE LUFT
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Ganzes Selbst, heile Welt

Ganzheitlichkeit ist ein etwas ungelenkes Modewort für das, was man früher kurz und knapp als „Heil“ bezeichnet hat. Inzwischen sprechen nicht mehr nur homöopathische Naturheilkundler, sondern auch gestandene Schulmediziner von den Vorzügen ganzheitlicher Heilverfahren. Dass körperliche Krankheitssymptome von einem psychischen Leidensdruck hervorgerufen werden können, zweifelt heutzutage niemand mehr an. Psychosomatische Therapieansätze, die den „ganzen“ Menschen in den Blick nehmen, gehören mittlerweile zum medizinischen Standardrepertoire und sogar in der Wirtschaft hat das Ganzheitsdenken Fuß gefasst – so liegt beispielsweise „integrativen“ Unternehmensstrategien die Annahme zu Grunde, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile.

Von der abendländischen Philosophie wird immer wieder behauptet, sie habe sich in starren Dualismen wie „gut“/„böse“ oder „Körper“/„Geist“ verfangen. Der Kreis, der das Yin und das Yang umschließt, fehle im westlichen Denken. Erst die Berührung mit den Weisheitslehren aus Fernost habe bei uns den Sinn fürs Einssein geweckt. Dabei gibt es auch in Europa eine ganz eigene Tradition der mystischen Verschmelzung von Selbst und Welt. Das Wort „heil“ bedeutet soviel wie „ganz, gesund, unversehrt“ und findet sich als Nomen und als Adjektiv in allen germanischen Sprachen. „Heilig“ kommt von „heil“, und das englische „holy“ leitet sich von „whole“ ab. Sprachgeschichtlich lässt sich also nachweisen, dass unsere Vorfahren den Begriff der Ganzheit mit dem des Göttlichen gleichgesetzt haben.

Im Zuge der Christianisierung nahm das Wort „Heil“ dann allerdings eine andere Bedeutung an. Das altgriechische Wort „σωτηρία“ (sotēría = Rettung, Erlösung) aus dem Neuen Testament wurde als „Heil“ ins Deutsche übersetzt. Jesus war dementsprechend als Heiland bekannt, als Heilsbringer. Unter „Heil“ verstand man nun nicht mehr das erhebende Gefühl, an der Alleinheit des Seins teilzuhaben, wie die germanischen Heiden es kannten. Der neue Sinngehalt von „Heil“ legte den Gläubigen nahe, ihre Errettung könne nur durch die gütige Gnade Gottes erfolgen, nicht aber aus eigener Kraft. Doch finden sich auch im Christentum Strömungen, die den Menschen ganzheitlich betrachten und auf seine spirituellen Selbstheilungskräfte setzen. Für den geistlichen Lyriker Angelus Silesius zum Beispiel waren Gott, Mensch und Natur letztlich eins :

Ich selbst muß Sonne sein,
ich muß mit meinen Strahlen
das farbenlose Meer
der ganzen Gottheit malen.

– Danilo Flores

VERANSTALTUNGSHINWEIS

Weimarer Visionen. Festspiele des Denkens 2014
„Heil sein. Gesunder Geist – Gesunder Körper – Gesunde Welt“
02. – 05.10.2014 in Weimar

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