2014 jährt sich der Beginn des ersten Weltkrieges zum 100. Mal. Millionen von Menschen verloren ihr Leben für einen Krieg ohne Sieger, einen sinnlosen Kampf um Prestige und Einfluss. Es war die bis dahin größte Katastrophe dieser Art – aber bei weitem nicht die erste. Denn Kriege kennen die Menschen seit den Auseinandersetzungen zwischen Stammesgesellschaften. Philosophen sucht man allerdings meist vergeblich im Schützengraben. Ihre Front ist der Hörsaal, das Kaminzimmer ihr Schlachtfeld, das Wort ihr Gewehr. Doch auch damit kann man Schaden anrichten.
Zum Beispiel, indem man die Gräuel des Krieges philosophisch salonfähig macht. So wie aktuell Ian Morris, Professor an der Stanford University. In seinem Buch „War! What Is It Good For?“ bescheinigt er dem Krieg eine produktive Natur. Frei nach dem berühmten Satz des antiken Philosophen Heraklit „Der Krieg ist der Vater aller Dinge“ schlussfolgert Morris: Hätte es keine Kriege gegeben, wären wir jetzt nicht so zivilisiert, wie wir es sind. Der Krieg ist ein notwendiges Übel für gesellschaftlichen Fortschritt. Eine beunruhigende These. Denn demnach sind die getöteten Soldaten und Zivilisten nichts anderes als Kollateralschaden. Tote, die man für ein größeres Ziel in Kauf nehmen muss. Unschuldige Menschenleben kaltblütig für eine größere Perspektive zu opfern klingt ehrlich gesagt wenig zivilisiert. Wahrscheinlich bemüht Morris deshalb permanent den hobbesschen Leviathan zu seiner Rechtfertigung. Hobbes Theorie tritt schließlich für eine absolutistische Staatsform ein – und gerade nicht für eine moderne Demokratie.
Doch Ian Morris ist bei weitem nicht der erste Kriegstheoretiker. Knapp hundert Jahre zuvor konnte der Philosoph Georg Simmel dem Krieg ebenfalls etwas Positives abgewinnen. Dabei befand Simmel sich in seinem Denken, aber auch in seiner Epoche, in einer fast gegensätzlichen Position zu Morris. Simmel sah die Kultur nicht im Fortschreiten begriffen, sondern in einer schweren Krise, erkrankt an Entfremdung und Überhöhung von Technik und Maschine. Chancen auf Heilung bot seiner Ansicht nach der gerade entfachte erste Weltkrieg. Der kämpfende Soldat erlebt laut Simmel eine totale Unmittelbarkeit: Sein komplettes Handeln zielt darauf ab, zu überleben. War sein vorheriges Leben eine Existenz in Entfremdung, etwa als Fließbandarbeiter, erlebt er im Krieg die absolute Einsicht in Sinn und Zweck seines Tuns. Im Kampf erfährt er sich als sinnvoller Teil eines Gesamtzusammenhangs – und erkennt so, was wirklich wichtig ist im Leben.
Morris und Simmel sehen im Krieg ein hilfreiches Werkzeug – der eine für persönlichen Entwicklung, der andere für gesellschaftlichen Fortschritt. Doch das ist nur eine von vielen Seiten des Krieges. Alles Lebendige – das Grausame, der Schrecken und das Leid – wird ausgeblendet. Dabei ist genau dies ein essentieller Bestandteil des Krieges. Das Leid ist keine Begleiterscheinung des Krieges auf dem Weg zu einem größeren Ziel – es ist sein innerster Kern.
Aus dem eingefurzten Sessel eines Hochschulbüros lassen sich Millionen von Todesopfern und Verwundeten mit einem Federstrich wegwischen. Das kann man nüchterne Analyse nennen – oder weltfremde Arroganz. Wer das Leid als Wesen des Krieges ignoriert, trifft nicht nur eine falsche Analyse, sondern stuft den Wert eines Menschenlebens ab auf ein bloßes Mittel zum Zweck. Und für solches Denken gibt es nur einen legitimen Platz: Die Müllhalde der Geschichte.
Robin Droemer
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