In unserem aktuellen Heft antworten Bas Kast, Gesine Schwan und Oliver Kalkofe auf drei Fragen zum Schwerpunktthema Vorurteile. Hier lesen Sie die Antworten von Melodie Michelberger und Ursula Karven.
- Bei welchem Vorurteil haben Sie sich schon mal ertappt?
- Welchen Vorurteilen sind Sie selbst ausgesetzt?
- Wie gehen Sie mit Vorurteilen um?
Melodie Michelberger ist Influencerin und Aktivistin für Feminismus und Body Positivity
1. So wie viele in der westlichen, weiß-dominierten und christlich sozialisierten Gesellschaft bin ich mit einem Bias, einem massiven Vorurteil gegenüber dicken Körpern aufgewachsen. In meinem Kopf war und ist das elendige Stigma, »dick = disziplinlos, faul, wertlos« fest verankert. Dieses abschätzige Stigma hat mich all die Jahre sogar so unter Druck gesetzt, dass ich mit aller Kraft dagegen ankämpfte, selbst dick zu werden, konstant Diät hielt und meinen Körper über Jahrzehnte aushungerte. Mir dieses Vorurteil selbst einzugestehen war wichtig, um weiter zu kommen.
2. Als dicke Frau bekomme ich eben genau dieses Stigma selbst oft zu hören. Wildfremde Menschen schreiben mir herablassende Nachrichten oder posten abwertende Kommentare über meinen Körper unter meine Instagramposts. Viele haben gar das Gefühl, dass sie im Recht sind und mir dringend mitteilen müssen, dass ich mich falsch verhalte, denn wenn ich in ihren Augen alles richtig machen würde, dann wäre ich ja nicht dick.
3. Erst an der Arbeit zu meinem Buch ist mir bewusst geworden, wie sehr ich Vorurteile gegenüber dicken Körpern gegen mich selbst richtete. Es war schmerzhaft, mich mit meiner eigenen verinnerlichten Fettenfeindlichkeit zu beschäftigen. Mir einzugestehen, dass ich selbst Teil davon bin, war der erste Schritt, ein liebenswürdiges Verhältnis zu meinem Körper aufzubauen. Vorurteile hängen ja nicht im luftleeren Raum, wir alle tragen dazu bei, diese aufrechtzuerhalten.
Am 31.1. erscheint Melodie Michelbergers Buch »Body Politics« – ein Plädoyer für ein diverses Bild von Schönheit (Rowohlt).
Ursula Karven, Schauspielerin und Unternehmerin
1. Vorurteile sind ja vorschnelle Bewertungen, oft zu Dingen, die einem fremd sind oder anders als erwartet und sie sind oft erlernt. Ich selbst zum Beispiel wurde relativ streng erzogen, inklusive Knigge-Regeln, die etwas darüber aussagen sollten, wie jemand ist, was man tut oder nicht. Davon habe ich mich natürlich gelöst – auch von der Vorstellung, dass die Schuhe, die jemand trägt, etwas über seinen Charakter aussagen. Aber eines muss ich zugeben: Wenn jemand am Esstisch mit dem Kopf halb in der Suppe hängt, ertappe ich mich noch manchmal dabei, demjenigen Kulturlosigkeit zu unterstellen – bevor ich mich selbst anhalte, auch dies nicht zu bewerten.
2. In meinen ersten Lebensjahren lebte ich mit meiner Familie in Berlin. Als ich fünf war, zogen wir zurück in meine Geburtsstadt Ulm. Damals habe ich nicht geschwäbelt wie die anderen Kinder und die warfen mir dann vor, ich »meine wohl ich sei was Besseres«. Diese Ablehnung hat mich damals als Kind sehr getroffen. Meine Reaktion war, mich viel zu sehr um die anderen zu bemühen. Ich fing an meine Pausenbrote zu verschenken. Aber es half nicht. Das Vorurteil klebte an mir wie Kaugummi an den Schuhen.
3. Wenn es passt und mir gelingt, dann am liebsten mit Humor. Denn bei Vorurteilen hilft es, Distanz zu den (eigenen) Überzeugungen einzunehmen, sich womöglich (eigener) Ängste bewusst zu werden, die hinter jenen vorschnellen Bewertungen stecken – und das beste Mittel für die Einnahme dieser Distanz ist Humor. Vor allem, wenn man auch über sich selbst lachen kann.
Zuletzt erschien von Ursula Karven ihr Buch »Diese verdammten Ängste« (Gräfe und Unzer)
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