Anlässlich der Kunstmesse ARTMUC, die kommenden Donnerstag (29.05.-01.06.) zum ersten Mal in München stattfindet, haben wir ARTMUC-Creative Director Marco Schwalbe interviewt. Gemeinsam mit seinem Bruder Raiko Schwalbe hat er auch eine der erfolgreichsten Kunst-Events in Bayern etabliert: die STROKE Art Fair.
Grund genug, Marco Schwalbe einige philosophische Fragen zur Kunst zu stellen…
Kann man Ihrer Meinung nach eine Definition von Kunst geben?
Das ist genau das Problem, bei dem sich die meisten Theoretiker verzetteln und die Debatte pseudointellektuell wird. Peter Weibel (Leiter des ZKM Karlsruhe) hat einmal gesagt: „Es gibt keine Kunst, es gibt nur das Gespräch über Kunst“.
Was ist Kunst für Sie?
Da halte ich es gerne mit Voltaire: „Zweifel ist (zwar) kein angenehmer Zustand, Gewissheit jedoch absurd.“
Arthur Schopenhauer sah in der Kunst eine Möglichkeit, dem Leid, für ihn zentrales Merkmal des Lebens, temporär zu entgehen. Teilen Sie seine Meinung? Brauchen Menschen die Kunst?
Für Schopenhauer war ja bekanntlich der Zustand von Mangel und Unzufriedenheit per se ein Leiden. Davon abgesehen hat er sich häufiger mit Musik und Moral beschäftigt. Auch nicht zu unterschlagen sei der Fakt, dass zu Schopenhauers Lebenszeit die Romantik, der Biedermeier oder der Realismus dominant waren. Alles Kunstrichtungen, die mit der heutigen Wahrnehmung und Bedeutung von Kunst nicht mehr viel zu tun haben. Ich behaupte: Die Menschen brauchen die Kunst nicht, sage jedoch im gleichen Atemzug: „Alkohol löst keine Probleme, Milch aber auch nicht!“. Einigen wir uns doch vielleicht darauf, dass die Kunst den Menschen braucht.
Welchen Wert hat Kunst für uns?
Über dieses Thema kann man sicherlich stundenlang diskutieren. Wenn man sich auf einen mehr theoretischen Ansatz einlassen möchte, muss man sagen, Kunst hat sowohl einen Symbol- als auch einen Marktwert.
Der Symbolwert sammelt schwer verifizierbare Faktoren wie Singularität, Bedeutung in der Kunsthistorie, intellektuelle Ansprüche … – und ist demnach so etwas wie eine Folge historischer Idealisierungsanstrengungen, die der bildenden Kunst ihre Einzigartigkeit und Überlegenheit bescheinigen soll (die sie ja zu Zeiten Schopenhauers noch nicht erreicht hatte). Da der Symbolwert nicht nahtlos in ökonomische Definitionen passt, lässt er sich auch nicht einfach in Geld umrechnen.
Der Marktwert wiederum ist arbiträr, da auch er sich auf objektiv nicht messbare Werte bezieht. Der einzige verifizierbare Anhaltspunkt ist hier der Preis. Er ist der Index des Marktwertes und kennt im Prinzip keine Obergrenze.
Der US-amerikanische Philosoph Arthur C. Danto schrieb einmal über Kunstwerke, dass sie die Kraft eines Textes hätten, sofern man sie zu lesen versteht. Würden Sie hierin mit Danto übereinstimmen?
Der Gedanke von Danto liest sich im ersten Moment klug – man ist geneigt, ihm zuzustimmen. Aber Danto hat Warhols Brillo Box (1964) auch als den letzten, zutiefst ambivalenten Fortschritt der Kunst bezeichnet und damit postuliert, dass kein Wandel mehr stattfinden kann. Einen solch polemischen Mann sollte man kritisch hinterfragen. Der Aufbau eines Textes basiert auf Gesetzmäßigkeiten (von Ausnahmen wie dem Dadaismus einmal abgesehen). Sätze, Wörter und Buchstaben machen sein Lesen erst möglich. Grammatikalische Regeln, Ausdrucksformen und auch Rechtschreibung formen einen Text. Er kann berühren, die Phantasie beflügeln, zum Lachen wie zum Weinen bringen – aber das alles bleibt eben an das definierte Machwerk der Sprache gebunden. Würden sich Schriftsteller und/oder Autoren nicht mehr an diese allgemeinverbindlichen Richtlinien halten, wären wir nicht mehr in der Lage, ihre Texte zu verstehen und zu interpretieren.
Der Künstler hingegen hat die Freiheit, alles zu benutzen, was er als Material für sinnvoll oder zumindest brauchbar hält. Er kennt keine Grenzen in der Form seiner Arbeit. Im Prinzip ist er absolut vogelfrei.
Aber nehmen wir mal an, es gäbe eine genetische Mutation und – damit es plakativ wird – schreiben wir sie einem X-Man zu. Dieser X-Man kann kein Feuer speien, ist nicht unsichtbar und hat auch keine Messerklingen in seiner Faust – er kann aber Kunstwerke lesen! Ganz gleich, vor welches Kunstwerk sie ihn stellen, er kann ihnen daraus vorlesen. Klingt komisch? Ist es auch! Dieser X-Man hätte es nie in die Eliteeinheit von Professor X geschafft. Man hätte ihn wahrscheinlich in die Klapsmühle eingewiesen.
– Marco Schwalbe im Interview mit HOHE LUFT-Redakteurin Christina Geyer