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Das ethische Geschlecht

Warum Männer aufregender sind als Gender-Debatten

Es gibt gesellschaftliche Debatten, die nirgendwohin führen, weil es um die falschen Fragen geht. Man erkennt solche Debatten an ihrer ritualisierten Polemik. Die immer gleichen Positionen prallen aufeinander. Und je mehr gestritten und polemisiert wird, desto geringer ist der diskursive Ertrag. Im Grunde ist jeder gelangweilt, aber keiner will es zugeben, weil die Protagonisten beider Positionen davon leben, dass die Debatte genauso weitergeht wie bisher.

Eine solche Debatte ist die Debatte um die Geschlechterdifferenz.

Wir sollten die alte Gender-Debatte begraben. Sie ist ideologisch erstarrt und intellektuell fruchtlos. Um nicht zu sagen: langweilig! Ihre einzige Funktion ist es, ein Debattenritual zu perpetuieren,  die einschlägige akademische bzw. mediale Industrie am Leben zu erhalten. Ist das Patriarchat schuld an den immer noch unausgewogenen Machtverhältnissen zwischen den Geschlechtern? Macht der Feminismus die Männer kaputt? Die ewige Diskussion über Geschlechterstereotypen und Gender Diversity hält uns davon ab, uns mit den wirklich wichtigen Fragen zu beschäftigen – zum Beispiel damit, was es heißt, in einer glücklichen Beziehung zu leben, gute Arbeit zu haben, ein gelingendes Leben zu führen.

Keine Frage der Macht – eine Frage der Werte

Die Gender-Debatte ist eine Sackgasse, ähnlich wie die »Natur versus Umwelt«-Debatte um die Verhaltensgenetik. Heute wissen wir, dass Gene und Umwelt miteinander interagieren; die alte Dichotomie hat ihren Sinn verloren. In der Geschlechterfrage verhält es sich ähnlich. Sicherlich gibt es bestimmte »weibliche« oder »männliche« Dispositionen, die mit der unterschiedlichen Biologie bzw. der unterschiedlichen Sozialisation eines Menschen zu tun haben.

Ob es die Biologie ist oder soziale Normen, die das Geschlecht bestimmen: Beide Sichtweisen laufen letztlich auf eine Art von Determinismus hinaus, also auf die Vorstellung, dass das Geschlecht  gleichsam schicksalhaft festgelegt ist. In einem Fall ist das Schicksal die Biologie, im anderen die Kultur. Selbst der Enthusiasmus über das angebliche Ende der konventionellen biologisch-sozialen Geschlechterbinarität ist problematisch, weil er sich ex negativo über eben diese Binarität definiert.

Wenn wir sinnvoll über den »modernen Mann« reden wollen, brauchen wir eine grundlegend andere Sicht der Geschlechterdifferenz – eine Sicht, die Menschen in ihrer Individualität und Fähigkeit zur Selbstbestimmung ernstnimmt. Wir sollten Menschen zugestehen, dass sie nicht nur Spielbälle übermächtiger Einflüsse sind, sondern dass sie selbst entscheiden könne, was ihnen wichtig ist.

Unsere These lautet: Der Unterschied zwischen den Geschlechtern beruht weder auf biologischen Unterschieden, noch auf sozialen Normen, sondern auf unterschiedlichen Werten. Frauen und Männer nehmen verschiedene Dinge wichtig. Es ist diese grundlegende Differenz, welche die Geschlechter voneinander trennt.

Männliche und weibliche Werte, meinen wir, existieren nicht einfach abstrakt. Es gibt keine platonische Idee des »Weiblichen« oder »Männlichen«. Männliche und weibliche Werte mögen aus dem biologischen wie aus dem sozialen Geschlecht hervorgegangen sein, aber sie haben sich davon im Laufe der Geschichte emanzipiert.

Für eine »dritte Kultur« jenseits von Normen und Biologie

Was heißt es, ein Mann zu sein? Viel interessanter als ein »Männerforschungs«-Seminar aus dem Fachbereich Gender Studies zu belegen oder sich mit einem Online-Kolumnisten über die Frage der schwindenden männlichen Privilegien zu zerfetzen ist es, über das »ethische Geschlecht« nachzudenken. Was wir ethisches Geschlecht nennen, beruht auf männlichen und weiblichen Werten. Es steht in einer Beziehung zum biologischen Körper und zu sozialen Normen, doch es lässt sich weder auf das eine, noch auf das andere reduzieren. Männer können auch weibliche Werte haben – so wie Frauen männliche Werte -, und zwar in allen erdenklichen »Kombinationen«.

Das ethische Geschlecht ist nichts Statisches, keine fixe Konfiguration, die ein für allemal festgelegt wäre. Wir können unsere Werte verändern, die Gewichtungen verschieben, die Prioritäten verlagern. Das ethische Geschlecht ist dynamisch, es ist immer in Bewegung, es verändert sich je nach Lebenssituation.

Wenn wir sinnvoll über den modernen Mann nachdenken wollen, sollten wir die Gender-Debatte also neu beginnen – und statt über die »Männer-versus Frauen«- Differenz über die zwischen männlichen und weiblichen Werten reden. Wir können diese Differenz in ein Verhältnis setzen, wenn es uns gelingt, sie aus dem Korsett von Normen und Biologie zu befreien.

Erst wenn männliche und weibliche Werte aufeinanderprallen, ohne dass es dabei um Macht und Unterwerfung ginge, kann die Geschlechterdifferenz ihre fruchtbare Wirkung entfalten – als Differenz zwischen Werten, nicht zwischen Männer und Frauen. Zwischen der »Kultur Mann« und der »Kultur Frau« gibt es wenig zu »vermitteln«. Was wir brauchen, das ist eine neue, eine »dritte Kultur«, welche die Differenzen nicht einebnet, sondern – um eines guten Lebens und gelingender Beziehungen willen – von eben diesen Differenzen lebt.

– Rebekka Reinhard, Thomas Vašek

 Unseren Titelessay über den modernen Mann als »ethisches Geschlecht« lesen Sie in der aktuellen Ausgabe 5/2017, jetzt im Handel oder hier erhältlich.

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