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Trumps Rhetorik: Die Macht der Atmosphäre

„America first!“ Ex-Reality-TV-Star Donald Trump ist ein Meister der Setzungen. Er spricht, wie er twittert. Hart, schnell, undiplomatisch. „Menschen strömen in Rekordzahlen nach Washington!“ „Es friert und schneit in New York. Wir brauchen die globale Erwärmung!“ Das Problem mit solchen Exklamationen ist nicht nur, dass sie nicht wahrheitsfähig sind. Sätze wie diese schaffen nicht einfach „alternative Fakten“, sie besitzen eine eigene imaginierte, ästhetische Wirklichkeit, die der Realität ihren Stempel aufdrückt. Trump Aussagen sind mit „Bullshit“ (Harry G. Frankfurt) nicht hinreichend beschrieben. Sie bewegen sich über Bereich des bloß Sprachlichen hinaus. Sie tun etwas. Sie erzeugen eine Atmosphäre der Erregung, des Ereignisses und des Aufbruchs hin zu einem Eigentlichen (eigentlich Relevanten).

Atmosphären sind extrem machtvolle Gebilde. Sie bedingen, so Gernot Böhme, „eine Neuorientierung der Aufmerksamkeit: weg von der Beurteilung der Dinge, die man wahrnimmt, hin zu dem, was man empfindet“. Die Atmosphäre, die von Trumps Worten ausgeht, ist mächtiger, perfider, vieldeutiger als das, was man eine rhetorisch kalkulierte „einschüchternde Wirkung“ oder „Stimmung bebender Größe“ nennen könnte (wie Adam Soboczynski in der ZEIT schrieb). Sie zwingt auch die logisch-rhetorisch Versiertesten in ihren Einflussbereich: die Vertreter der „Elitenmedien“. Wenn Trump, der nun mächtigste Mann der Welt, diese als „verzerrt und ungenau“ deklariert, provoziert dies bei den so Verurteilten Fassungslosigkeit – und die Frage, was man einem derartigen Statement sinnvollerweise entgegensetzen kann. „Ich bin kein Politiker.“

Die Macht Trumps ist die Macht der Atmosphäre. Eine verbal erzeugte, visuell unterlegte Atmosphäre, der es spielend gelingt, jeglicher Kritik an ihr den Zahn zu ziehen: nicht nur jener Kritik, die sich mit naivem Objektivitätsanspruch brav an der Widerlegung des Ungeheuerlichen abarbeitet; sondern auch derjenigen, die sich dreist an der ironischen Aneignung des Gesetzten versucht. Exemplarisch für die allgegenwärtige atmosphärische Kontamination ist eine Satire von Oliver Trenkamp auf SPIEGEL Online,  in der die Ausrufung alternativer Fakten als „Beginn einer neuen Freiheitsbewegung“ gepriesen wird: Trenkamp will performativ davon überzeugen, dass die Immanenz seiner kritischen Inszenierung sehr wohl Anspruch auf einen transzendenten, der Wahrheit verpflichteten Standpunkt erhebt.

Doch die Atmosphäre des Trumpschen Vokabulars, die Schein und Sein, Ernst und Ironie, Verstehen und Missverstehen unterschiedslos ineinander verschwimmen lässt, vervielfacht zwangsläufig die interpretatorischen und kommentatorischen Möglichkeiten seines Texts (von: „Mir sind alternative Fakten wesentlich lieber als das Totschweigen von Ereignissen“ bis: „Hä? … Soll das Satire sein?“: s. Kommentarleiste). Trenkamp partizipiert an der Ästhetisierung des Realen, natürlich ohne es zu wollen; ähnlich wie etwa Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt, wenn er formuliert: „Soll er doch. Er kann uns mal“.

Was die unter atmosphärischem Einfluss stehende Kritik der Aneignung mit dem Original teilt, ist die Lust am Draufhauen, an der Zerstörung – am Krieg? In den Worten von Trump-Unterstützer und Breitbart-Redakteur Milo Yiannopoulos: „Wir wollen den ganzen Scheiß in die Luft sprengen!“

Das Problem liegt jedoch nicht auf der Ebene der Ästhetik. Die Ästhetisierung des Realen schafft die Realität ja nicht ab. Vielmehr prägt sie ihre Gestalt auf machtvolle, gefährliche Weise. Die größte Macht besitzt nicht, wer Recht hat – sondern der Meister der Atmosphäre. „America first!“ (Rebekka Reinhard)

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