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Die rhetorischen Spielchen der AfD

Die Fußball-Europameisterschaft beginnt in dieser Woche – und Alexander Gauland von der AfD hat, passend dazu, einen Kommentar abgegeben. Angeblich auf Nachfrage von Journalisten der FAS (Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung) erklärte er: „Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben.“ Zwei unverfängliche Sätze, in denen Gauland außerdem gar nicht selbst spricht, sondern scheinbar nur referiert, was „die Leute“ finden und haben bzw. nicht haben wollen. Etwas seltsam klingt nur die Formulierung „ein Boateng“ – denn in der Fußballnationalmannschaft spielt ja nur ein Boateng – Jérôme Boateng eben. Den „die Leute“ als Fußballspieler, so Gauland, gut finden. „Einen Boateng“ wollen sie aber „nicht als Nachbarn haben“.

Der Wechsel vom Fußballspieler zum Typus „ein Boateng“, also: einer wie Boateng, dieser Wechsel verwirrt etwas. Man fragt sich, wofür Boateng hier stellvertretend stehen soll, wenn er als „ein Boateng“ oder ‚einer wie Boateng‘ auftritt: Wollen die Leute nicht neben einem Profifußballer wohnen, weil dadurch die Mieten steigen? Oder liegt es am Namen, der irgendwie ausländisch, irgendwie auch nach Afrika klingt? Oder liegt es an Boatengs Hautfarbe, die, unter der Voraussetzung, dass ‚Deutschsein‘ irgendwie mit weißer Hautfarbe verbunden sein soll, nicht ‚zu uns‘ passt?

Letztere Auslegung von Gaulands Zitat hat sich in den Medien durchgesetzt, angefeuert von der Überschrift in der FAS: „Gauland beleidigt Boateng.“ Sogleich erhob sich auf allen Seiten ein Sturm der Entrüstung: Die Medien konkretisierten die Beleidigung in Richtung der verwerflichsten Auslegung des Zitats, der Aussage über die Hautfarbe, und erklärten Gauland zum „Rassisten“. Gauland selber beeilte sich sogleich, diese Auslegung zurückzuweisen: Er würde gar nicht auf die Idee kommen, Boateng persönlich abzuwerten, denn er kenne ihn doch persönlich gar nicht. Außerdem habe er sich „an keiner Stelle über Herrn Boateng geäußert“.

Es folgte ein Tauziehen zwischen Gauland und den Medien, das an frühere Auseinandersetzungen zwischen AfD-Politikern und Journalisten erinnerte. So erklärte Frauke Petry im Januar in einem – sowieso recht angespannten – Interview im Mannheimer Morgen, dass ein Polizist „den illegalen Grenzübertritt verhindern, notfalls auch von der Schusswaffe Gebrauch machen [muss]. So steht es im Gesetz.“ Auch wenn „im Gesetz“, dem §11 UZwG, nur von „kann“ und nicht von „muss“ die Rede ist – der Schusswaffengebrauch ist dort in besonderen Fällen erlaubt. Wenn Frauke Petry sich also wie im Interview auf Gewalt als „Ultima Ratio“ beruft – was ist daran sachlich falsch? Umgekehrt könnte man aber auch fragen: Warum bringt man überhaupt die Ultima Ratio, also die letzte mögliche Lösung, in die Diskussion ein, in einer Situation, in der nicht nur rhetorisch, sondern auch ganz konkret in allen Ecken gezündelt wird?

Einem Opfer springt man gerne bei, gerade dann, wenn es sich gegen eine vermeintliche Tabuisierung auflehnt.

Die Strategie, erst mit provokanten Aussagen allseitig Empörung hervorzurufen, um sich dann als Opfer dieser zum ‚Tugendterror‘ und zur ‚Mainstream-Meinung‘ umgewandelten Empörung zu inszenieren, ist eine uralte populistische Strategie. Sie besitzt – aus der Sicht des Anwenders – eine ganze Menge entscheidender Vorteile: Man kann sich selbst als denjenigen darstellen, der den ‚Mut zur Wahrheit‘ hat. Die Empörung ist dafür ja nur Beleg – ausgestattet mit dem Narrativ ‚Die Wahrheit tut weh‘ kann man sich selbst als Vorkämpfer des Ungesagten, der berühmten schweigenden Mehrheit darstellen. Hinzu kommt die verzwickte Dialektik der Opferinszenierung: Einem Opfer springt man gerne bei, gerade dann, wenn es sich gegen eine vermeintliche Tabuisierung auflehnt. Selbst-Viktimisierung und Selbst-Heroisierung arbeiten Hand in Hand.

Die AfD hat diese Strategie perfektioniert. Sie hat sie aber auch mit rhetorischen Mitteln ergänzt, die im normalen politischen Diskurs ganz üblich sind, vor dem Hintergrund der Opfer-Strategie aber eine ganz eigene Durchschlagskraft entwickeln.

Was Gauland und Petry – und von Storch und Höcke – tun, wenn sie Aussagen machen wie „einen Boateng“ wolle man nicht zum Nachbarn haben oder die „Ultima Ratio“ müsse Waffengewalt sein, so stehe es schließlich „im Gesetz“: Sie spielen mit dem Kontext dieser Aussagen, aber mit einem ganz bestimmten Trick. Diesen Trick muss man verstehen, wenn man ihm nicht auf den Leim gehen will.

Der Trick funktioniert so: Man weiß, dass Journalisten immer alles ganz genau wissen und vor allem immer nach der dahinterliegenden Absicht des Sprechers fragen wollen. Klare Aussagen ergeben gute Schlagzeilen und Absichtserklärungen ermöglichen Spekulationen über die politische oder gesellschaftliche Rolle einer Person. Dabei wird oft das Wichtige herausgestellt oder zugespitzt; Aussagen werden in Schlagzeilen verwandelt oder in neue Kontexte gestellt.

Diese Praxis macht man sich zunutze: Man formuliert Aussagen, die unbestimmt oder allgemein genug sind, damit man sie in ganz verschiedenen Hinsichten auslegen kann. Das ist schon alles. Denn die Kontextreduktion – also: das Weglassen einer Konkretisierung durch weitere Erläuterung – erzeugt beim Journalisten, beim Leser und beim Anhänger der eigenen politischen Sache eine Kontextunterstellung. Einfacher ausgedrückt: Die AfD nutzt unsere Angewohnheit, nach einem ‚dahinterliegenden‘ Sinn oder einer solchen Absicht zu fragen, für ihre Zwecke aus. In der Rhetorik heißt diese Stilfigur ‚Allusion‘, von lat. ‚alludere‘, ‚auf etwas anspielen‘ oder ‚etwas andeuten‘. Mit diesem Trick schlägt man nun mehrere Fliegen mit einer Klappe.

Der Satz kann die diffuse Angst vor dem Fremden ebenso bedienen wie offene Fremdenfeindlichkeit

Wenn Gauland „einen Boateng“ sagt und in den Medien daraus „Gauland ist ein Rassist“ wird, dann gibt diese Kontextunterstellung ihm die Möglichkeit, sich als Opfer der Medien zu inszenieren. Am vergangenen Sonntag hat Gauland genau das getan, als er Eckart Lohse von der FAS bei Anne Will vorwarf: „Herr Lohse hat mir den Namen Boateng in den Mund gelegt. Völlig unverständlich, dass da jetzt Rassismus draus gemacht wird.“ Diese Opfer-Inszenierung hätte noch besser funktioniert, hätte Gauland nicht vor laufender Kamera bestritten, Aussagen gemacht zu haben, die ihm in derselben Sendung dann per Einspieler nachgewiesen wurden.

Auch Frauke Petry kann sich als Opfer inszenieren, wenn aus ihrer Äußerung über die „Ultima Ratio“ in der erwartbaren Zuspitzung ein „Schießbefehl“ wird: das ist Wasser auf die Mühlen derjenigen, die mit der ‚Lügenpresse‘, ‚Lückenpresse‘ oder – wie Frau Petry – der ‚Pinocchio-Presse‘ Stimmung im eigenen Lager machen.

Aber nicht nur die Medien werden mit ihren eigenen Mitteln in die Falle gelockt. Denn die Kontextreduktion erlaubt es auch, Andeutungen für das eigene Lager zu machen. Gerade weil die Aussage „einen Boateng“ mehrdeutig besetzbar ist, kann Gauland auf der gesamten Klaviatur der Kontexte spielen, die sie ermöglicht. Der Satz kann so die diffuse Angst vor dem Fremden ebenso bedienen wie offene Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. Er kann den Sozialneid schüren, dass ‚Andere‘ – und seien sie Christen und in Deutschland geboren – dem ‚Eigenen‘ bevorzugt werden. Dass Migrantenkinder Millionenverträge bekommen, während deutsche Kinder hungern müssen. Gerade weil er so unbestimmt ist, kann ihn jeder mit seinen eigenen Assoziationen aufladen.

Im Fall von Frauke Petry muss man für die entsprechenden Assoziationen nur in das Compact-Magazin von Jürgen Elsässer hineinsehen. Der hatte schon im November die Soldaten der Bundeswehr zur Grenzsicherung aufgerufen. Das Heft trug den Titel: „Asyl. Die Flut“ – mit einem Bild vom Reichstag, der von einem Tsunami weggeschwemmt wird.

Die rhetorischen Strategien der AfD sind einfach zu entlarven – aber sie sind, im Eifer des Gesprächs, oft schwer zu erkennen. Ihr steht dabei das gesamte Arsenal populistischer Trickrhetorik zur Verfügung. Vielleicht wäre es auch für Journalisten und Politiker an der Zeit, sich nach geeigneten dialektischen Gegenmaßnahmen umzusehen.

– Daniel-Pascal Zorn

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