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Inzest verbieten?

Der Deutsche Ethikrat hat sich dafür ausgesprochen, das deutsche Inzestverbot zu überarbeiten. Einvernehmlicher Sex zwischen Erwachsenen sollte demnach nicht mehr unter Strafe stehen.  Das Thema ist umstritten, auch innerhalb des Ethikrates: Von den 23 Mitgliedern stimmten 9 gegen eine Lockerung des Gesetzes. Auch innerhalb der HOHE LUFT Redaktion führte die Entscheidung des Gremiums zu kontroversen Diskussionen. Sollte man wirklich mit diesem Tabu brechen?  Lesen Sie zwei Kommentare für und wider eine Lockerung des Inzestverbots von Robin Droemer und Danilo Flores und lassen Sie uns Ihre Meinung zu dem Thema wissen.

Sollte das Verbot von Inzest aufgehoben werden?

PRO

 Für mehr Freiheit

Die Fantasy-Serie „Game of Thrones“ ist momentan der hellste Stern am Serienhimmel. Sex, Liebe und Intrigen, dazu noch die ein oder andere epische Schlacht: Das ist der Stoff, aus dem (Fernseh-) Legenden gemacht sind. Zusätzlich zeigt die Serie aber auch ein wirklich provokantes Thema: Die Königin und ihr Bruder führen eine heimliche Liebesbeziehung – und zeugen drei Kinder gemeinsam.

Inzest ist eines der letzten universalen Tabus dieser Welt. Fast überall ächtet man ihn als „Blutschande“, insbesondere zwischen Geschwistern. Dafür mag es verschiedene Gründe geben, unter denen „Unnatürlichkeit“ wohl der verbreitetste ist. Und tatsächlich tritt bei den allermeisten Menschen das ein, was nach dem finnischen Anthropologen Edvard Westmarck als „Westmarck-Effekt“ bezeichnet wird. Demnach fühlen sich Menschen von Natur aus nicht zueinander hingezogen, wenn sie die ersten Kindesjahre miteinander aufwuchsen – egal ob blutsverwandt oder nicht.

In Deutschland wird Inzest jedoch nicht nur gesellschaftlich abgelehnt, sondern auch per Gesetz verboten – ein philosophisch bedeutsamer Unterschied. Denn laut dem Philosophen Ronald Dworkin zeichnet sich ein liberaler Staat gerade dadurch aus, dass er sich im Bezug auf die Lebensentwürfe seiner Bürger neutral verhält. Niemand kann für seine persönliche Vorstellung von einem guten Leben verurteilt werden – auch wenn seine Ansichten nicht den gängigen Konventionen entsprechen. Natürlich gilt diese Neutralität nur, solange andere Menschen nicht zu schaden kommen. Doch wem und wie schadet einvernehmlicher Sex zwischen erwachsenen Verwandten?

Eine mögliche Antwort lautet : den Kindern. Das Risiko für Missbildungen und Krankheiten beim Nachwuchs erhöht sich in Inzest-Partnerschaften nachweislich. Die Eltern könnten also das Recht des Kindes auf ein gesundes Leben verletzen.

Allerdings führt nicht jeder Sex zur Zeugung von Kinder. Die Partner könnten verhüten oder sich sterilisieren lassen. Warum sollte man den Akt selbst dann verbieten?

Doch auch ohne Verhütung führt sich das Argument des Kinderschutzes selbst ad absurdum. Denn die Medizin kennt inzwischen eine Vielzahl von Erbkrankheiten, welche die Lebensqualität der Erkrankten immens verringern – etwa die Huntington-Krankheit oder Kretinismus. Das Inzest-Verbot auf das bloße Risiko möglicher Erkrankungen des Nachwuchses zu gründen, würde bedeuten, dass man auch allen anderen Trägern bekannter Krankheitsanlagen Sex gesetzlich verbieten müsste. Doch damit nicht genug: Vor zwei Wochen stellten Wissenschaftler der Universität Bergen die Ergebnisse einer Langzeitstudie vor, welche die Auswirkungen des Rauchens auf das eigene Erbgut untersuchte. Die Forscher fanden heraus, dass ein Mann, der zehn Jahre lang raucht,  das Risiko für eine Asthma-Erkrankung seiner Nachkommen um bis zu 50% erhöht. Wäre das Argument gegen Inzest zutreffend, müsste also auch Rauchern Sex strafrechtlich verboten werden.

Ein weiterer Einwand der Befürworter des Verbots lautet, dass Kinder, die aus inzestuösen Beziehungen hervorgehen, diskriminiert werden könnten. Vor nicht allzu langer Zeit wurde dieses Argument auch gegen Ehen zwischen Schwarzen und Weißen vorgebracht. Diese strafrechtlich zu verbieten, um die möglichen Kinder zu schützen, kommt uns heute glücklicherweise nicht mehr in den Sinn. Die Abneigung der Mehrheit ist per se kein Argument gegen die Neigungen einer Minderheit.

Ekel und Abscheu sind grundlegende menschliche Empfindungen. Allerdings taugen sie nicht als Basis für die Gesetze eines demokratischen Rechtsstaates. Natürlich darf jeder für sich widerlich finden, was er will. Aber ebenso hat jeder auch ein Recht darauf, auf die Weise glücklich zu werden, wie er es will – solange er niemandem damit schadet. Das sollten wir niemals vergessen.

Robin Droemer

CONTRA

Gegen die Fahrlässigkeit

Der Ethikrat hat gesprochen: Inzest ist okay. Der Staat habe sich aus dem Liebesleben seiner Bürger herauszuhalten – Obrigkeitliche Eingriffsrechte in die individuelle Privatsphäre seien nur zu rechtfertigen, sofern ein Einzelner durch seine Handlungen jene Grundrechte verletzt, die der Allgemeinheit verfassungsmäßig zugestanden werden. Darunter fallen grundgesetzlich zugesicherte Güter wie Gesundheit, (sexuelle) Freiheit und Eigentum.

Evidentermaßen sei eine Liebesbeziehung unter Geschwistern aber eine einvernehmliche Angelegenheit, wobei keiner der Beteiligten eine Verletzung an einem der ihm zustehenden Grundrechte hinnehmen müsse. Es gehe vielmehr darum, dass der Gesetzgeber die rechtlichen Rahmenbedingungen unserer Gesellschaft so gestaltet, dass niemand daran gehindert wird, seine elementaren Freiheitsrechte in Anspruch zu nehmen.

Wenn das Strafrecht nun die Geschwisterliebe kriminalisiert, so werden die Grundrechte einer Minderheit von inzestuösen Mitbürgern unzulässigerweise eingeschränkt. Ergo: Inzucht als Strafbestand aus dem Strafgesetzbuch ausradieren, um sich staatlicherseits nicht länger einer verfassungswidrigen Beschränkung der persönlichen Freiheit des Bürgers schuldig zu machen. Die gesetzliche Ordnung müsse dem Wertewandel – der auf eine Art von Hyperindividualismus zusteuert –  Rechnung tragen und schließlich seien in der deutschen Rechtsgeschichte immer wieder Gesetze gestrichen worden, die unzeitgemäß geworden waren und ein Verhalten unter Strafe stellten, dass nicht länger als anrüchig angesehen wurde.

Es gibt aber gute Gründe, Inzest als strafwürdiges Fehlverhalten anzusehen – immer noch und für alle Zeit. Wenn Geschwister sich untereinander auf sexuelle Handlungen einlassen, begehen sie nämlich eine grobe Fahrlässigkeit: Sie gefährden ihren Nachwuchs, der sehr wahrscheinlich behindert sein wird. Denn von Natur aus paaren sich nahe Verwandte nicht, so funktioniert menschliche Fortpflanzung einfach nicht; das Ekelgefühl, das Inzest hervorruft, ist nichts anderes als die instinktmäßige Ablehnung einer Verhaltensweise, die den Fortbestand der menschlichen Spezies infrage stellt. Auch bei indigenen Völkern sind sexuelle Beziehungen unter engsten Verwandten tabu. Wie kann der Ethikrat – diese „zivilisatorische“ Errungenschaft erster Güte –  eine Handlungsweise gutheißen, die so offensichtlich gemeingefährlich ist, dass sogar „primitive“ Völker sich ihrem Gewohnheitsrecht nach von ihr fernhalten?

Weshalb auch immer der Ethikrat jetzt auf einmal die Inzucht entkriminalisieren will, manche Dinge scheinen vorerst verboten zu bleiben: Kiffen zum Beispiel. Wie vielen in die Illegalität Gedrängten hilft man mit der Aufhebung des Inzestverbots? Ich hoffe inständig nicht allzu Vielen. Wie vielen in die Illegalität Gedrängten hülfe man mit einer Legalisierung von Marijuana? Gut und gerne einem zweistelligen Prozentsatz des deutschen Volkes. Sollte der Vorschlag des Ethikrates umgesetzt werden, wäre das keine Evolution des deutschen Rechts, sondern der erste Schritt in Richtung eines moralischen Nachtwächterstaates, der unter dem Deckmantel der Neutralität der Dehumanisierung des Menschen Tür und Tor öffnet.

-Danilo Flores

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