HOHE LUFT
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HATTE SCHOPENHAUER DOCH RECHT?

Empathie und Mitleid sind dasselbe. Letzteres war für den Philosophen Arthur Schopenhauer zugleich auch der Quell aller Moral. Schopenhauer konnte sich partout nicht für die Pflichtethik seines großen Vorbilds Kant begeistern, dessen große Errungenschaften er auf dem Gebiet der Erkenntnistheorie sah, nicht aber auf dem Gebiet der Moralphilosophie. Kants Versuch,  Moral aus Vernunftgesetzen herzuleiten, gehörte für Schopenhauer nach „Wolkenkuckucksheim“.

Schopenhauers eigene Begründung der Moral lief auf eine Heiligsprechung des Mitleids hinaus. Einzig das Erlebnis des Mit-Fühlens und Mit-Erleidens der Pein eines Anderen – ob Tier oder Mensch – bewege uns zu altruistischen Handlungen. Die Grenze zwischen „Ich“ und „Du“ verschwimme im Moment der empathischen Identifikation mit dem Leid des Gegenübers. Deshalb setzten manche Leute ihr Leben für das von anderen aufs Spiel – weil ihnen die instinktiv erfühlte Verbundenheit aller leidenden Kreatur die fremde Existenz als genauso bedeutsam erscheinen lässt wie die eigene.

Mitleid ist für Schopenhauer die Überwindung des Egoismus. Zwar sei der Wille zur Selbsterhaltung der stärkere Trieb im Menschen, doch deute unser Vermögen zum Mitleiden darauf hin, dass selbstloses Verhalten den sprichwörtlichen „Krieg aller gegen alle“ in gewissen Momenten befrieden könne. Dann trete zutage, dass alles Seiende unauflöslich in einer organischen Verbindung zueinander steht. Mitleid bedeutet somit die intuitive Einsicht in die wesensmäßige Identität von Ich, Du und Welt.

Das alles klingt ein wenig abgehoben. Aber in gewisser Weise scheinen die modernen Neurowissenschaften Schopenhauer Recht zu geben: Heute weiß man, dass in unseren Köpfen sogenannte „Spiegelneuronen“ anfangen zu feuern, sobald sich einem der Anblick eines leidenden Artgenossen darbietet. Und auch ein verängstigtes oder schmerzerfüllt jaulendes Tier kann in uns dieselbe Reaktion wecken. Es ist, als schalteten sich unsere Hirne synchron, um soziales Verhalten hervorzurufen. Aus dem Blickwinkel der Evolutionstheorie ist kaum ersichtlich, weshalb die eine biologische Art für die andere etwas anderes als Appetit übrig haben sollte. Hat Schopenhauer doch Recht? Thomas Mann jedenfalls meinte: „Ich nannte Schopenhauer ‚modern’ – ich hätte ihn zukünftig nennen sollen.“

-Danilo Flores

VERANSTALTUNGSHINWEIS

Symposium turmdersinne 2014
“Das soziale Gehirn. Neurowissenschaft und soziale Bindung”
26. – 28.09.2014 in Fürth. 

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