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Nicht normal – und nicht verrückt

Anders Behring Breivik wurde vom norwegischen Gericht für geistig gesund erklärt und wegen der Tötung von 77 Menschen im Sommer 2011 zu mindestens 21 Jahren Haft verurteilt. Breiviks geistige Gesundheit war im Lauf des Prozesses heftig umstritten gewesen. Die Staatsanwältin hatte auf unzurechnungsfähig plädiert. Breivik selbst hatte darauf bestanden, gesund zu sein.

Auch in der Redaktion von Hohe Luft gab es Diskussionen darum, ob Breivik krank oder gesund ist, im Zuge des Artikels „Wer ist hier verrückt?“ (siehe Hohe Luft 2, Seite 36). Wir kamen zu dem Schluss, dass Breivik zwar völlig nach völlig verqueren Maßstäben denkt und handelt, aber nicht verrückt ist. Er ist sozusagen ethisch krank – aber nicht psychisch krank.

Breivik

Anders Breivik

Die Diagnose psychischer Krankheit ist eine schwierige Angelegenheit. Dabei helfen keine Antikörpertests oder Röntgenbilder. Der Goldstandard der psychischen Gesundheit ist das Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM). In den 50er Jahren war es eine schlanke Broschüre. Heute ist es 886 Seiten lang und führt 374 psychische Krankheiten auf. Der unbestritten gesunde walisische Journalist Jon Ronson hat es mal zum Test auf sich angewandt und 12 Krankheiten an sich diagnostiziert – von allgemeiner Angststörung bis hin zu Albträumen (siehe Ronsons beeindruckenden neuen TED-Vortrag).

Dahinter steckt eine bedenkliche Entwicklung: Was nicht normal ist, wird als krank etikettiert. Das ist einfach und bequem, aber falsch. Denn vieles davon verstößt gegen soziale oder ethische Normen, nicht gegen Normen der psychischen Gesundheit. Breiviks Tat und sein Gerede darum sind erschreckend in ihrer Fremdartigkeit – aber auch erschreckend in ihrer klaren, kalten Logik. Sie sind nicht die Tat und die Rede eines Wahnsinnigen.

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