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Na logisch! Selbst-Heroisierung: Die zweite Hauptrolle im Immunisierungs-Drama

Die Na logisch!-Kolumne über Logik, Rhetorik und Argumentationstheorie schreibt normalerweise Daniel-Pascal Zorn. Nach seinem Text über Selbst-Viktimisierung hat die Soziologin Paula-Irene Villa (Braslavsky) einen Gastbeitrag zur Selbst-Heroisierung verfasst. Die Autorin hat den Lehrstuhl für Allgemeine Soziologie und Gender Studies an der LMU München inne. 

Wie in dieser Kolumne und auch anderweitig bereits trefflich analysiert, erfreut sich die rhetorische Strategie der Selbst-Viktimisierung medial und politisch derzeit besonderer Beliebtheit. Sie beinhaltet im Kern, sich ohne Differenzierung und jenseits von Fakten oder nachvollziehbarer Praktiken – letztlich also nicht selten schlicht gelogen – als Opfer einer Übermacht zu inszenieren, der man (meist viel zu lange schon) ausgeliefert sei.

Verschwörungstheorien sind dafür evidente Beispiele, wie auch die moderne Form des Antisemitismus. Aktuell werden Feindbilder wie die ‚Genderisten’, die ‚Lügenpresse’, die ‚Political Correctness’ oder einfach ‚die da oben’ zu übermächtigen Tätern aufgebaut, gewissermaßen zu Goliaths stilisiert. Diejenigen, die diese Viktimisierung rhetorisch nicht nur benennen, sondern zudem dem Goliath den Kampf ansagen, machen sich damit aber zugleich selbst zum tapferen David: Zu einem Helden, der außer seiner Tapferkeit, seinem Glauben an den eigenen Sieg und einem geheim anmutenden Wissen um die eigentliche Verwundbarkeit des bösen Feindes nichts hat – und ihn besiegt (1. Samuel – Kapitel 17).

Ich bemühe diese alttestamentarische Geschichte deshalb, weil sie die doppelte Struktur gegenwärtiger Rhetoriken der Immunisierung versinnbildlicht. Wo es einen übermächtig wirkenden Täter gibt, dem gegenüber man sich als Opfer wähnt (Viktimisierung), dort gibt es immer auch einen Helden, der diesem Täter die Stirn bietet (Heroisierung) und sich ‚traut’. Einen Helden, der–anders als die meisten und doch als Teil von ihnen und daher für die Masse – den Täter, den Feind, in die Flucht schlägt oder vernichtet.

Im AfD-Slogan „Mut zur Wahrheit“ wird dies deutlich. Der Slogan verweist nicht auf politische Forderungen oder Visionen (Gerechtigkeit, Frieden, usw.), er evoziert vielmehr eine Haltung zur Wirklichkeit. Eine heroische Haltung nämlich, die impliziert, im Besitz eines privilegierten Wissens zu sein, und sich anders als alle anderen der bisherigen ‚Lüge’ entgegen zu stellen. Es ist der durchaus alte und bekannte, links wie rechts, oben wie unten formulierte, damals wie heute eingesetzte Gestus einer heldenhaften Selbstvergewisserung desjenigen, der – als einziger! – weiß, was Sache ist.

 Die Selbst-Heroisierung gelingt als rhetorische Strategie, wenn davon ausgegangen wird, dass es nur eine einzige Wahrheit gibt, zu deren Held man sich selbst erklärt.

Interessanterweise muss dabei davon ausgegangen werden, dass es die ‚eine Sache’ gibt, deren Wahrheit man selber kennt. Populistisch gewendet kennt man diese Sache nicht nur und behält aber das Wissen für sich. Sondern man spricht sie aus, ständig, wie eine metaphysische Wahrheit, die alle kennen sollten und müssen – wenn nur alle nicht so verblendet wären bzw. belogen und beherrscht würden. Die Selbst-Heroisierung gelingt als rhetorische Strategie vor allem also dann, wenn davon ausgegangen wird, dass es eigentlich nur eine einzige Wahrheit, eine Eigentlichkeit gibt, zu deren Held man sich selbst erklärt. Das teilt diese Figur der Heroisierung mit der Viktimisierung. Deshalb funktionieren beide auch als Formen der Immunisierung gegen jede Form von Kritik.

Die gegenwärtige Wirklichkeit moderner Gesellschaften ist multiperspektivisch und sie ist getragen von alltäglichen Pluralitäts- womöglich gar Kontingenzerfahrungen: Menschen sind vielsprachig, mobil (ob freiwillig oder nicht), sind konfrontiert mit Normalitäten im Plural, die mehr oder weniger vom eigenen Vertrauten abweichen im Plural, sehen und erfahren hautnah Lebensentwürfe anderer Menschen, die den eigenen hinterfragen. Menschen der Gegenwart sind Traditionen und Naturtatsachen nicht ungebrochen ausgeliefert. Nicht nur gestalten wir wie eh und je unsere biologische Natur durch unsere soziale Natur – man denke nur an Medikamente, Ernährungsgewohnheiten, das Klima usw. –,wir sind geradezu aufgefordert, uns in allen möglichen Hinsichten selbst zu gestalten: Unsere Körper, unsere Gesundheit, unsere Fitness, unsere Emotionen, all das sollen und können wir nach bestimmten Vorbildern optimieren. Dass dies auch Teil einer problematisierbaren Ideologie ist, stimmt. Aber es tangiert nicht die Tatsache, dass wir als Menschen in einem sehr weitgehenden Sinne über uns verfügen. Verfügen müssen und verfügen können.

Mir scheint, dass genau dies die Herausforderung ist, gegen die Viktimisierung und Heroisierung immunisieren sollen. Die ‚Plastizität‘ des Menschen beinhaltet die Gestaltbarkeit nicht nur der Zustände (worauf konservative, ja selbst völkische und rassistische Argumentationen ausdrücklich setzen), sondern auch des Selbst. Immer mehr wird im Zuge der Selbstaufklärung und der empirischen Verflüssigung von lebensweltlichen Wissen verhandelbar und verhandlungsbedürftig: Geschlecht, Sexualität, ‚Nation’ oder ‚Volk’ – viele, eigentlich alle Differenzkategorien, die für Inklusions- und Exklusionsprozesse relevant sind, geraten in Bewegung und verlieren ihre vermeintliche metaphysische Präsenz. Sie werden wahrnehmbar in ihrer Uneigentlichkeit. Daraus ergeben sich Freiheits- und Reflexionspotenziale, daraus ergeben sich aber offenbar auch Angst und Abwehr.

Opfer und Held können und dürfen auf den (vermeintlichen) Gegner nicht zu- oder eingehen, sondern müssen diesen vernichten.

Heroisierung und Viktimisierungen sind beides Figuren, die vor dieser Selbstrelativierung schützen sollen. Sie wehren die eigene Verstrickung mit dem Anderen ab, auf der logischen Ebene der Argumentation und auf der sozialpsychologischen Ebene der eigenen Subjektivität. Wer sich zum Opfer einer übermächtigen Kraft stilisiert, kann und braucht diese Kraft bzw. deren Inhalte nicht ernst nehmen. Wer sich zum Helden im Kampf gegen eine solche Kraft stilisiert, erst recht nicht. Opfer und Held können und dürfen auf den (vermeintlichen) Gegner nicht zu- oder eingehen, sondern müssen diesen vernichten oder sich vor diesem schützen. Das heißt auch: die Anliegen, Argumente, Gründe oder Differenzierungen der vermeintlichen Täter oder Gegner können bzw. dürfen nicht ernst genommen werden.

Im öffentlichen Diskurs sehen wir diese Logik in der Form der massiven Diskreditierung des- oder derjenigen, die als übermächtige Gegner karikiert werden: Die ‚Feminazis’, die ‚Genderistas’, die ‚Homo-Lobby’, die ‚Pädophilen’, die ‚68’er’, die ‚Political Correctness’, die ‚Gutmenschen’, die ‚Multikultisten’ – aber auch ‚die Nazis’ oder ‚die Rechten’, die ‚Faschisten‘, der ‚politische Islam‘ und die ‚jüdische Weltverschwörung’. Solche Reduktionen von komplexen Sachverhalten auf einen Nenner macht deren Diskreditierung sehr einfach. Und es hat für die Anwender den angenehmen Nebeneffekt, dass sie selbst als Ankläger, nicht als Angeklagte erscheinen, also als diejenigen, die nicht selbst betroffen sind von dem, womit sie andere bezeichnen. Viktimisierung und Heroisierung erfüllt so auch die Funktion einer Abgabe von Verantwortung an die inkriminierten Positionen.

Konkret kommt die Doppelstruktur der Viktimisierung und Heroisierung übrigens nicht nur bei Anhängern populistischer Bewegungen vor. Sie kommt auch in Stellungnahmen einiger Hochschulprofessoren zur Geltung, in denen diese vor einer angeblich um sich greifenden ‚P(olitical) C(orrectness)’ warnen und von damit einher gehenden Zensur raunen, die angeblich zunehmend die Universitäten und die Medien präge. Es ist dann der Autor, der Professor selbst, der die Zeichen der Zeit richtig erkannt, den Gegner ausgemacht hat, und also sich diesem heroisch entgegen stellt.

Man kann die Beispiele je nach eigener Lebenswelt für unwichtig oder für so abwegig halten, dass sie sich eigentlich von allein diskreditieren sollten. Das Gegenteil ist jedoch der Fall: fundamentalistische und sich den Pluralismen des demokratischen Diskurses verschließende rhetorische Figuren verfangen derzeit zunehmend. Sie enthalten das Versprechen auf Überschaubarkeit und Stärke. Den Wirklichkeiten wird das nicht gerecht.

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