Aktuell, Gesellschaft, HOHE LUFT, Politik
Kommentare 1

Höcke und Heidegger

Björn Höcke erscheint gern als Politiker, der alles im Griff hat, der sich seiner strategischen Einsätze voll bewusst ist. Auf seine Wortwahl – „1000 Jahre Deutschland“ – angesprochen, erläutert er der Reporterin abgeklärt: „Der Politiker muss natürlich manchmal überspitzen, gerade wenn es um Demonstrationsreden geht.“ Der AfD-Politiker will als Stratege erscheinen, der seine Gegner intellektuell in die Tasche steckt.

Am Rande des AfD-Parteitags nun, so berichtet die FAZ, nutzte Höcke die Gelegenheit, ein weiteres Detail seiner umfassenden Bildung zu offenbaren:„‚Höcke wird auch ein Mann der klaren Worte bleiben‘, sagt er. ‚Wir müssen als Deutsche fragen, wer wir sind‘, sagt er. ‚Wir brauchen ein Ja zum Wir.‘ Das deutsche Volk müsse sich von der ‚Zeitgeistmatrix‘ lösen, es müsse aus seiner ‚Seinsvergessenheit‘ heraustreten und stattdessen wieder seiner ‚Seinsordnung‘ näher kommen. ‚Ja, das ist Heidegger.‘

Was haben Politiker davon, wenn sie Philosophen zitieren? Und wenn sie ihre Bildung auch noch mit einem affirmativen Satz – „Ja, das ist Heidegger“ – unterstreichen?
Zunächst einmal hat ein solches Zitat die Funktion einer Gelehrsamkeitssimulation. Man zeigt, dass man sich auskennt. Man beweist, scheinbar, intellektuelle Überlegenheit. Der zitierte Philosoph verleiht Autorität auch dem, der selbst keine hat, solange er ihn nur richtig zitieren kann. Und dann gehört Heidegger natürlich zu den Denkern, die man mit dem Begriff der ‚Konservativen Revolution‘ zusammenfasst, wie sie u. a. von der neuen Rechten intensiv rezipiert wird. Die zitiert man in manchen Kreisen gern als ‚Vordenker‘.

Dafür muss man sie dann aber auch wirklich gut kennen. Leider verfehlt Höckes Heidegger-Referenz Heideggers Gedanken nicht nur, sie verkehrt ihn sogar, diametral, ins Gegenteil.
Dafür muss man keine Interpretation bemühen, es reicht der Text Heideggers selbst. Denn die ‚Seinsvergessenheit‘, eine Figur, die Heidegger vor allem in den 30er Jahren im Rahmen seiner Hegel- und Nietzsche-Lektüre entwickelt, wird nicht etwa durch eine „Seinsordnung“ (Höcke) überwunden – sondern sie entsteht erst durch eine solche.

Im Gegensatz zur Thematisierung der ‚Seinsfrage‘ des frühen Heidegger, die sich vor allem am philosophischen Vergessen dieser Frage abarbeitete, ergibt sich die ‚Seinsvergessenheit‘ gerade nicht – wie der Begriff suggeriert – aus einem Vergessen des ‚Seins‘, sondern aus seiner Explikation. Es sind die „Seinsordnungen“ der ‚ousia‘ bei Aristoteles, des ‚Absoluten‘ bei Hegel und des ‚Willen zur Macht‘ bei Nietzsche, die versuchen, das ‚Sein‘ und die ‚ontologische Differenz‘ ein für alle Mal begrifflich festzulegen. Diese Festlegung führt zu einer viel tieferen Seinsvergessenheit als die bloße Indifferenz und Implikation der Voraussetzung, die Heidegger noch in Sein und Zeit umtreibt. Denn wo die Differenz vorher nur implizit war, verschwindet sie nun ganz unter einer verabsolutierten Explikation.

Heidegger erteilt in den 30ern, in Anlehnung an die Rhetorik des NS (und Denker wie Jünger und Schmitt), dem ‚Deutschen‘ freilich den Auftrag, das ‚Sein‘ zu verwirklichen. Aber er verwirft schon kurze Zeit darauf diesen Gedanken wieder – mit dem expliziten Hinweis, dass es auch und gerade die „Seinsordnung“ der Kulturphilosophen der ‚konservativen Revolution‘ und der Nazis ist, die die Seinsvergessenheit total macht. Wer auch immer eine „Seinsordnung“ verkündet, steht damit automatisch im Bunde mit der Metaphysik, der Machenschaft und eben: der Seinsvergessenheit – denn: „Nur noch ein Gott kann uns retten.“ Höcke ist sicherlich kein Gott, schon gar nicht im Sinne Heideggers.

„Das ist Heidegger“ ist also Unsinn. Es ist vielmehr ein identitär und ethnopluralistisch verzerrter Pseudo-Heidegger, der sich drittklassigen Heidegger-Exegeten wie Dugin oder ambitionierten, aber schlecht informierten Aktivisten der Identitären Bewegung verdankt. Und vielleicht ist es eben einfach nur das wichtigtuerische Sprüchlein eines Provokateurs, der sich gern den Anstrich eines Bildungsbürgers geben will.

– Daniel-Pascal Zorn

Von Daniel-Pascal Zorn erscheint Anfang nächsten Jahres der Band »Vom Gebäude zum Gerüst. Reflexivität bei Michel Foucault und Martin Heidegger | Ein 
Vergleich«, Berlin (Logos)

1 Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert