HOHE LUFT
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Aktives Konsumieren

Pferdefleisch in der Lasagne, Sägespäne im Joghurt, Bioeier aus Legebatterien oder die Aufschrift »100 % natürlich«. Als Verbraucher hat man es nicht leicht. Ständig wird man Opfer von Täuschungsmanövern der Industrie, die uns tägliche Konsumgüter vorsetzt, die gar nicht das halten, was sie versprechen. Und da man es nicht besser weiß und oft auch nicht anders kann, greift man eben zu. Um sich dann kurzzeitig aufzuregen, wenn ein neuer Skandal vorübergehend die mediale Berichterstattung beherrscht und dann weiterzumachen wie gehabt.

Der Konsument als dem System und seinen Widrigkeiten unterlegener Hilfloser? Sind wir den Machenschaften der Industrie ausgesetzt? Der französische Philosoph und Theologe Michel de Certeau (1925 – 1986) machte den Alltagsmenschen zum Mittelpunkt seines Hauptwerkes »Die Kunst des Handelns«. Folgt man Certeau, dann ist der Konsument nicht so machtlos, wie er sich manchmal darstellt. Zwar kann er nicht bestimmen, in welchem System er sich befindet, aber wie er damit umgeht, ist ganz allein ihm selbst überlassen. Dadurch, dass er mit den Gegebenheiten und Produkten etwas anstellt, das in seinem Sinne ist, wird der Konsument auch zum Produzent. Certeau widersetzt sich damit der Sichtweise, Otto-Normalverbraucher als namenlose Masse und passive Empfänger zu betrachten. »Aktives Konsumieren« nannte er die produzierende Tätigkeit des Verbrauchers.
Der Philosoph Ludger Heidbrink forscht und publiziert seit einigen Jahren zu dem Thema Konsumentenverantwortung. Obwohl immer mehr über fragwürdige Produktionsweisen und die Folgen des übermäßigen Konsums bekannt würde, ändere kaum jemand etwas an seinem Lebensstil. „Es klafft eine Lücke zwischen Bewusstsein und Handeln. Eine tatsächliche Umstellung der Konsumgewohnheiten findet nur in Grenzen statt“ lautet eine seiner Diagnosen.
Heidbrink glaubt nicht, dass der Verbraucher allein die Verantwortung für die angebotenen Waren trägt. Dennoch nützt dem Produzenten seine Macht, das auf den Markt zu bringen, was die größte Gewinnspanne bringt, nichts, wenn die Nachfrage ausbleibt.
Nach Heidbrink bedarf es zwar mehr Transparenz bei der Kennzeichnung und Fertigungsweise von Produkten, doch muss der Konsument von heute sich eben auch die nötigen Informationen beschaffen, um seiner Konsumentenverantwortung nachzukommen.

Statt sich darüber zu ärgern, wie übel einem von denen „da oben“ mitgespielt wird, ist es an uns, die eigene Rolle in diesem Spiel wahrzunehmen und zu gestalten. Für Michel de Certeau ist dies auch ein Akt der Kreativität, in dem die eigene Lebenswelt geformt und verändert werden kann. Sich als passives Opfer zu sehen, ist zu leicht. Gutes Konsumieren ist aktives Konsumieren.

-Greta Lührs

 

VERANSTALTUNGSHINWEIS 

Hochschule für Philosophie München
Ringvorlesung von Dr. Dominik Finkelde SJ: Michel de Certeau – Ein Denker der Moderne
Öffentliche Ringvorlesung zum 200-jährigen Jubiläum der Wiedererrichtung der Gesellschaft Jesu: Bedeutende Denker des Jesuitenordens
10.12.2014, 19 Uhr.
Zu allen Terminen geht es hier lang. 

 

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