HOHE LUFT
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Vergiss mich!

Google muss künftig in bestimmten Fällen Sucheinträge sperren, wenn die betroffene Person einen guten Grund vorweisen kann, weshalb sie von der Suchmaschine nicht gefunden werden möchte. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes räumt uns damit ein „Recht auf Vergessenwerden“ ein.

Ein Recht darauf, vergessen zu werden? Das klingt seltsam. Streben nicht sonst alle danach, in die Ewigkeit einzugehen und möglichst nicht in Vergessenheit zu geraten? Als hätten wir Kants These „Tot ist nur, wer vergessen wird“ verinnerlicht, probieren wir alles, um auch über den Tod hinaus in Erinnerung zu bleiben.

Ein Recht auf Vergessenwerden würde allerdings den Traum wahrmachen, Fehler ungeschehen zu machen. Wie häufig hat man schon etwas getan, das man am liebsten rückgängig machen würde. Wenn sich niemand mehr an eine Tat erinnert, ist das doch genau so als wäre sie nie begangen worden, oder? Zumindest kann einem niemand ein Fehlverhalten vorwerfen, von dem derjenige nichts weiß. Ein Recht darauf, begangene Handlungen einfach auszuradieren, kommt einem Freifahrtschein gleich, zu tun was immer man möchte – ohne Konsequenzen.

Im normalen Leben würde das Recht auf Vergessenwerden also das Ende der Verantwortung bedeuten. Wieso sollte das im Netz anders sein? Während wir im realen Leben unbedingt einen bleibenden Eindruck auf dieser Welt hinterlassen wollen, verlangen wir vom Netz, dass es uns vergisst. Das zeigen tausende Anträge auf Löschung, die in den letzten Tagen bei Google eingegangen sind. Das gemeine am Internet ist, dass man als Einzelperson oft gar keine Kontrolle darüber hat, welche Inhalte im Netz über einen kursieren. Insofern stärkt das Google-Urteil die informationelle Selbstbestimmung und schützt den Bürger davor, immer gläserner zu werden.

Auf der anderen Seite stellen viele Menschen freiwillig jede Menge Informationen über sich ins Netz. Haben auch die ein Recht darauf, dass ältere Beiträge, die ihnen vielleicht inzwischen peinlich sind, nicht länger gefunden werden? Oder entzieht man sich damit der Verantwortung, die man für seine eigenen Handlungen eben wohl oder übel übernehmen muss – wie auch im richtigen Leben? Schließlich leben wir heutzutage auf gewisse Weise auch im Internet. Und wenn Firmen das Recht ausnutzen, um imageschädliche Meldungen zu überdecken, ist die Pressefreiheit potentiell gefährdet.

Ein wichtiger Unterschied liegt in der Kapazität des Erinnerungsspeichers. Jugendsünden vergessen Freunde und Familie irgendwann von ganz allein – das Internet vergisst nichts. Es scheint fair, diesem unendlichen Speicher Regeln aufzubürden, vor allem weil seine Macht vor etlichen Jahren noch nicht abzusehen war. Im richtigen Leben hat man schließlich auch die Chance, irgendwann mit der Vergangenheit abzuschließen und nicht ständig mit längst ausgesühnten Fehlern konfrontiert zu werden. Mit dem Recht auf Vergessen nähert sich das Internet etwas unserer Lebensrealität an, in der Fehler verziehen und auch Neuanfänge möglich gemacht werden.

– Greta Lührs

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