HOHE LUFT
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Wir Landschaftsmaler

Was für ein Panorama. Ich stehe am Ufer des Kawaguchi-Sees in Japan und blicke auf die tadellos konische Erscheinung mit der schneebedeckten Spitze. Der Fuji ist ein sanfter Riese, väterlich wacht er über die Umgebung. Seine Silhouette spiegelt sich auf der glatten Wasseroberfläche. Was gäbe ich dafür, dieses Bild jetzt in Öl festzuhalten. Leider fehlen mir dazu Leinwand, Farbe und künstlerisches Talent. Doch woher rührt bloß dieser plötzliche Wunsch nach dem Abbilden der Landschaft? Ginge es mir nur darum, den schönen Moment zu fixieren, könnte ich ja ein Foto schießen. Was ich auch tue. Doch die Sehnsucht nach einem gemalten Bild kann das Erinnerungsfoto nicht stillen. Landschaftsmalerei mag manch einer bieder und langweilig nennen. Aus
philosophischer Perspektive handelt es sich jedoch um eine durchaus interessante Kunstform.

Jede Art von Kunst besitzt ihre eigenen Besonderheiten. Die der Landschaftsmalerei besteht in dem schöpferischen Zwischenschritt, der vollzogen wird, noch bevor der Maler den Pinsel ansetzt. Denn in der Natur gibt es keine Landschaft. Bäume, Blätter, Berge, Bäche. Alles einzelne Erscheinungen, eingebunden in einen allumfassenden Kreislauf aus Entstehen und Vergehen, ohne Anfang, ohne Ende. Das ist die Natur. Wer stattdessen eine Landschaft sieht, der fügt eine Anhäufung von Einzeldingen zu einer imaginären Einheit zusammen. Gleichzeitig enthebt er diese Einheit dem Naturganzen, wobei die Landschaft an ihren Rändern jedoch immer noch in jenes hinüber fließt.  Der Maler erschafft also die Landschaft, bevor er sein eigentliches Werk beginnt. Jeder, der eine Landschaft betrachtet, vollzieht diesen kreativen Akt – die Vorstufe des Kunstwerks. Doch wie leimt man ein so verstreutes Nebeneinander wie die Natur zu einem adäquaten Gefüge? Der deutsche Philosoph Georg Simmel sah den Träger dieser Einheit in der besonderen „Stimmung“ einer Landschaft. Jedes einzelne Teil der Landschaft sei von ihr durchdrungen. Und dennoch könne man sie nicht als eigenständige Entität außerhalb der Landschaft erfahren. Doch das wirft Fragen auf. Schließlich scheint eine Stimmung doch vom Betrachter abhängig zu sein. Was der eine als melancholische Schönheit empfindet, stimmt den anderen depressiv. Wie kann dann aber jeder Stein und jeder Baum an so etwas wie einer objektiven Stimmung teilhaben?

Wenn man sich das Wesen einer Landschaft vor Augen führt, erkennt man, dass die Frage falsch gestellt ist. Denn die Landschaft als solche entsteht erst im Auge des Betrachters – sie existiert nur als geistiges Gebilde. Man kann sie weder anfassen noch in einer mathematischen Gleichung ausdrücken. Wir sind es, die Landschaften schaffen, und mit ihnen eben auch die jeweilige Stimmung. Landschaften und Stimmungen sind nie objektiv, aber dennoch untrennbar aneinander geknüpft. Nur so entsteht eine „stimmige“ Einheit, die sich von den Einzeldingen abhebt. Eine Landschaft zu betrachten bedeutet also, unsere Schöpferkraft mit dem Gegebenen zu verweben. Dafür eignet sich die Natur besonders, denn anders als die Stadt ist sie ursprünglich und roh. Und leistet im Gegensatz zu menschlichen Motiven auch keinen Widerstand gegen künstlerische Umformung. Wer Landschaften erblickt, vollbringt unweigerlich etwas Künstlerisches – wenn auch nur in einem rudimentären Stadium. Der Wunsch, diese Landschaft auch noch zu malen ist nicht die Sehnsucht nach einer Fixierung des schönen Moments, sondern vielmehr eine Resonanz der primitiven schöpferischen Tat.

– Robin Droemer

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